Vom Grundton der Freude
Psalm 66,20; Johannes 16,24 – Rogate | Jubelkonfirmation
Bittet, so werdet ihr empfangen.
Das lässt das Johannesevangelium Jesus sagen. Das erste Wort ist der Namensgeber für den heutigen Sonntag: Bittet oder auf Lateinisch ‚rogate‘. Die Worte von Jesus sind in ein Gespräch mit seinen Freunden eingebettet. Es ist eine Abschiedsszene. Wer Abschied nimmt, blickt zurück. Zieht Bilanz.
Das Konfirmationsjubiläum ist vielleicht auch ein Anlass, Bilanz zu ziehen. Ihr, liebe Jubilarinnen und Jubilare, blickt auf längere oder kürzere Wegstrecken zurück. Und wahrscheinlich sind dabei unterschiedliche Gefühle in euch wach.
Bittet, so werdet ihr empfangen,
auf dass eure Freude vollkommen sei.
Diese Jesusworte sind auf den Grundton der Freude gestimmt. Einer Lebensfreude, mit der ich beschenkt werde. Sie ist auch eine Frucht des Gebetes. Aber natürlich mischen sich in unser Leben auch dunkle Töne. Töne voller Scherz und Scheitern, voller Traurigkeit und Angst. Sie sind manchmal sehr laut und grell. Aber sie sollen nicht den Grundton der Freude übertönen. Das Johannesevangelium will Mut machen gegen die dunklen Töne. Und mein Leben neu stimmen auf den Grundton der Freude durch das Gebet.
Aber kommen meine Gebete überhaupt an? Hört Gott sie überhaupt? Erhört er sie oder hört er einfach weg, weil sie zu trivial, zu unbedeutend, zu egoistisch sind? Der 66. Psalm formuliert eine mögliche Antwort:
Gott hat mein Gebet nicht abgewiesen
und mir seine Zuneigung nicht entzogen.
Gott erhört meine Gebete nicht automatisch. Diese Feststellung ist für mich zunächst ernüchternd. Das wäre aber wohl auch zu viel verlangt und völlig unrealistisch. Wie viele meiner Gebete stehen mit ihrem Inhalt im Gegensatz zu Gebeten anderer. In wie vielen Gebeten stelle ich meine Anliegen über die Bedürfnisse und Sorgen anderer? Und doch tut und ist es gut, wenn ich meine Anliegen, meinen Frust, meine Angst, meine Überheblichkeit, mein fehlendes Selbstvertrauen vor Gott tragen kann. Und mit den Worten des Psalms weiß ich: das ist nicht umsonst. Denn Gott wird mein Gebet nicht abweisen. Ich kann bei Gott meine Anliegen, meine Gedanken und Gefühle und Fragen deponieren. Und bei ihm sind sie gut aufgehoben. Diese Gewissheit kann sich auf mich übertragen.
Es ist nicht entscheidend, ob Gott meine Gebete auch erhört, meine Wünsche erfüllt und meine Probleme löst. Viel wichtiger ist die Gewissheit, dass Gott mein Beten, mein Bitten und mein Klagen nicht einfach abtut und bei Seite schiebt. Er lässt es bei sich und nimmt es bei sich auf. Gleichzeitig entzieht er mir seine Zuneigung nicht.
Gott verurteilt mein fehlendes Selbsttvertrauen, meine Unsicherheiten nicht. Er nimmt sie ernst, er nimmt sie entgegen und schenkt mir sein Wohlwollen. Für Gott muss ich mich nicht verbiegen. Ich darf vor ihm sein, wie ich bin. Und ich muss keine Angst vor Gott haben. Dass ich nicht genügen könnte. Ich kann mich ihm anvertrauen, ihm gegenüber ehrlich sein. Ich muss mich nicht in Floskeln und fromme Sprüche flüchten. Muss vor ihm nichts beschönigen oder mich gut verkaufen. Gott schenkt mir von vornherein sein Wohlwollen: mir und meiner bisherigen Lebensgeschichte.
Gott hat mein Gebet nicht abgewiesen
und mir seine Zuneigung nicht entzogen.
Aus diesem grundlegenden Wohlwollen Gottes heraus kann ich aussprechen, was mit mir los ist. Ich kann ihm sagen, was mich bewegt und beschäftigt. Und ich darf darauf vertrauen: Gott wird sich nicht von mir abwenden, er bleibt an meiner Seite. Martin Luther beschreibt das in seiner Schrift „Eine schlichte Weise zu beten, für einen guten Freund“ so:
Bedenke, dass du […] nicht zweifeln sollst, dass Gott dir gewiss mit aller Gnade zuhört und Ja sagt zu deinem Gebet; und bedenke ja auch, dass du nicht alleine da kniest oder stehst, sondern die ganze Christenheit, alle frommen Christen bei dir und du unter ihnen in einmütigem, einträchtigem Gebet, welches Gott nicht verachten kann.
Das gibt mir Kraft und Hoffnung. Es kann meine Sicht der Dinge verändern: ein noch so kurzes Gebet, ein stilles Innehalten, ein kleines Ritual kann mir die Sicherheit geben: ich muss da nicht alleine durch. Ich schaffe das, weil Gott mein Gebet nicht abweist, weil er es nicht verwirft. Und weil ich gehalten bin in einer großen Gemeinschaft von Betenden. Das schlichteste Gebet ist ein Zeichen, dass ich nicht aufgebe, dass ich mich nicht aufgebe. Es ist ein kleines Zeichen, dass ich mich nicht mir selbst überlasse, sondern Gott. Es gibt mir Halt und stützt mich wie ein Geländer.
Ganz in diesem Sinn beschreibt der dänische Philosoph Søren Kierkegaard seine Erfahrung mit dem Beten als eine Entwicklung:
Als mein Gebet immer andächtiger
und innerlicher wurde,
da hatte ich immer weniger zu sagen.
Zuletzt wurde ich ganz still.
Ich wurde, was womöglich
noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,
ich wurde ein Hörender.
Ich meinte erst, Beten sei Reden.
Ich lernte aber, dass Beten
nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.
So ist es:
Beten heißt nicht, sich selbst reden hören.
Beten heißt:
still werden und still sein und warten,
bis der Betende Gott hört.
So verkehrt sich die Frage vom Anfang: Ob Gott meine Gebete überhaupt hört. Ich selbst werde ein Hörender. Wenn ich vor Gott still werde, dann antwortet er mir ohne Worte. In der Stille erfahre ich seine Antwort in einer Kraft, die mich trägt, aufrichtet und frei macht. Frei das Leben zu bestehen. Frei zu handeln und meinen Weg zu gehen. Auch durch schwierige Situationen. Geleitet von Vertrauen und Hoffnung, dass alles gelingen kann. Amen.