Vom Hineingezogen-Werden in das göttliche Leben
Kolosser 1,26-27
– Ostersonntag

Erste Rosen erwachen,
und ihr Duften ist zag
wie ein leisleises Lachen;
flüchtig mit schwalbenflachen
Flügeln streift es den Tag;

und wohin du langst,
da ist alles noch Angst.

Jeder Schimmer ist scheu,
und kein Klang ist noch zahm,
und die Nacht ist zu neu,
und die Schönheit ist Scham.

Rainer Maria Rilke bringt etwas von der Scheu und dem Leisen, die zu jedem Ostern gehören, ins Wort. Da wo ich nichts finde, nichts sehe, da wo alles leer und tot ist, da geschieht Überraschendes: durch den Tod hindurch ist einer aufgestanden ins Leben.

Rilke verleiht dem, was wir ‚Auferstehung‘ nennen, einen fremden Glanz. In der Alltagssprache ist Auferstehung ein Fremdwort. Es passt in unsere Welt scheinbar nicht hinein. Es ist ein Wort, das Verwunderung hervorruft. Wie kann, wie soll ich so etwas glauben?

Die Frauen am Ostermorgen im Markusevangelium machen eine ebenso irritierende Erfahrung. Eine Erfahrung, die ihr Leben umkrempelt. Jesus, ihr Ein und Alles, ist nicht tot. Er lebt, von den Toten auferweckt. Und doch erschrecken sie. Laufen davon, zitternd und ängstlich. Wollen es niemand erzählen, so sehr fürchteten sie sich.

Paulus dagegen war zu Ostern nicht dabei. Er hat Jesus nur vom Hörensagen gekannt. Die Jesusanhänger hielt Paulus für verblendet. Augenwischerei, sagt er, Irreführung. Und dann trifft es ihn wie ein Blitz. Paulus hat Jesus nicht gesucht. Er wird von Jesus gefunden. Und das verändert alles. Für Paulus wird das zu seinem biographischen Auferstehungsereignis.

Das muss für Paulus ein entsetzlicher Schreck gewesen sein. Das bisherige Leben auf den Kopf gestellt. Was gestern noch richtig war, erscheint heute falsch. Worauf kann ich mich da noch verlassen? Was ist wirklich?

Mit einem Mal erkennt Paulus, dass er mittendrin ist in Gottes Wirklichkeit. Da zählt nicht Erfolg oder Misserfolg. Da geht es nicht um äußere Anerkennung oder Ablehnung. In dieser Wirklichkeit bin ich, was ich bin. Weil Gott mich liebevoll anschaut. So begreift Paulus sein Leben: in Christus. – Als wäre er in Gottes Wirklichkeit hinein aufgewacht. Auf einmal siehst du alles wie zum ersten Mal. Das fasst Paulus in Worte und schreibt:

Das verborgene Geheimnis
ist nun den Getauften sichtbar gemacht.
Ihnen tut Gott kund,
welch reicher Glanz
dieses Geheimnis aller Welt bedeutet:
Christus in euch
ist die Hoffnung auf göttlichen Glanz.

Christus in uns. – Davon spüren die Frauen am Ostermorgen zuerst einmal nichts. Sie sind nur Angst. Und auch Paulus. Ihn wirft es zunächst völlig aus der Bahn. Er verliert die Kontrolle, alle seine Pläne durchkreuzt.

Viele Menschen heute erleben das auch: alles wirbelt durcheinander, alles, was bisher sicher schien. Auf einmal ist nichts mehr sicher. Ich habe es nicht mehr in der Hand. Und dann die Erfahrung, dass sich Gott genau da zeigt. Wenn ich den Überblick verloren habe und nicht mehr weiterweiß.

Manchmal werde ich in solchen Momenten hellsichtiger. Mein Leben bekommt Tiefgang. Mein Blick geht über den Horizont hinaus. Ich erkenne die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit. Da werde ich hineingezogen in das verborgene göttliche Leben. In der tiefsten Tiefe des Seins wartet es mir entgegen.

Erste Rosen erwachen,
und ihr Duften ist zag
wie ein leisleises Lachen;
flüchtig mit schwalbenflachen
Flügeln streift es den Tag;

Heute denke ich besonders an Dietrich Bonhoeffer. Vor 80 Jahren, am 9. April 1945, wurde er als persönlicher Gefangener Hitlers in den frühen Morgenstunden im Konzentrationslager Flossenbürg von den Nazischergen hingerichtet. Auf dem Weg zum Galgen wendet er sich zu einem britischen Mithäftling um und bittet ihn, einem Freund in England etwas auszurichten:

Dies ist für mich das Ende, aber auch der Anfang des Lebens.

So stirbt Dietrich Bonhoeffer. Was für ein Satz: Er geht auf sein eigenes Ende zu und redet doch von Anfang! Bonhoeffer schaut nicht weg, verdrängt nicht den Ernst der Lage, redet nichts schön. Er schaut hin und er schaut darüber hinaus.

Er bleibt ganz bei den Menschen, ist ganz in dieser Welt. Mit all ihrer grausamen Gewalt. Und gleichzeitig ist eine andere Wirklichkeit für ihn entscheidend. Gottes Wirklichkeit ist stärker. Und macht Menschen stark.

Das verborgene Geheimnis
ist nun den Getauften sichtbar gemacht.
Ihnen tut Gott kund,
welch reicher Glanz
dieses Geheimnis aller Welt bedeutet:
Christus in euch
ist die Hoffnung auf göttlichen Glanz.

Dietrich Bonhoeffer schaut mit der Hoffnung auf göttlichen Glanz auf sein Sterben. Für ihn ist es der Anfang des göttlichen Lebens. Die Zuversicht auf den Christus in euch. Ganz ungetrennt mit Gott zu sein. In dieser Gewissheit schreibt er:

Der auferstandene Christus trägt die neue Menschheit in sich, das letzte herrliche Ja Gottes zum neuen Menschen. Zwar lebt die Menschheit noch im Alten, aber sie ist schon über das Alte hinaus. Zwar lebt sie noch in einer Welt des Todes, aber sie ist schon über den Tod hinaus. […] Die Nacht ist noch nicht vorüber, aber es tagt schon.

Da will ich mich mit hineinziehen lassen. In die Wirklichkeit des verborgenen göttlichen Lebens in dir und mir. Dort werde ich liebevoll angeschaut und verwandelt. Dort geschieht das Wunder der Auferstehung mitten im Leben. Amen.


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