Friede auf Erden
Lukas 2,14; Jesaja 9,1.5b - Christvesper
»Ehre sei Gott in den Höhen!
Und Friede auf der Erde bei den Menschen,
ihnen wendet sich Gott in Liebe zu!«
So haben die Engel nahe Bethlehem gesungen. Heute liegt Bethlehem in der Westbank. Im von der palästinensischen Autonomiebehörde verwalteten Gebiet. Auch über dem Himmel von Bethlehem fliegen Kampfraketen. Seit dem 7. Oktober sind kaum mehr Touristen dorthin gekommen. Die Grenzübergänge zu Israel sind geschlossen. Deshalb sind viele Menschen von ihren Arbeitsplätzen in Jerusalem abgeschnitten und stehen ohne Einkommen da. Bethlehem und Jerusalem sind nur neun Kilometer voneinander entfernt. Aber es sind zwei verschiedene Welten.
Das wird auch vor 2000 Jahren kaum anders gewesen sein. Auch damals unruhige Zeiten. Dabei verzeichnet die Weltgeschichte diese Jahre als Goldenes Zeitalter. Kaisers Augustus ruft eine Epoche des Friedens aus. In den Beschreibungen jener Zeit liest sich das so: Handel und Wandel blühen. Die Straßen sind sicher. Die Mauern um die Städte fallen. Die Menschen schwelgen im Luxus. Als Gott lässt sich dieser Augustus verehren. Friede auf der Erde, das ist die politische Überschrift dieser Zeit.
Aber es ist Propaganda, gezielt gesteuerte Propaganda. So möchte sich dieser Augustus eben präsentieren: als Friedenskaiser. Und die Kehrseite ist, dass Wohlstand und Sicherheit auch finanziert werden müssen. Der Friede ist teuer erkauft. Die römischen Besatzer kontrollieren die Provinzen. Es müssen Steuern erhoben werden. Steuerbeamte verbreiten ein Bild des Schreckens. Es herrscht Korruption. Teile der religiösen Elitenverbünden sich mit den neuen Machthabern.
Dieser Frieden ist brüchig, er taugt nur zur Propaganda. Die Menschen in Bethlehem und andernorts werden zusammengetrieben, stöhnen über die Lasten und leben in bitterer Armut. Räuberbanden verunsichern die Wege. Die erste Steuerschätzung wird zur Geburtsstunde des Widerstandes gegen die römische Besatzung.
Der Kontrast könnte größer nicht sein. Auf der einen Seite der Friedenskaiser und seine Verwaltung. Auf der anderen Seite eine kleine Schar von Hirten. Und während sich Augustus im Schein seiner Propaganda sonnt, gleichen jene dem Volk, das im Finstern wandelt. Gerade ihnen prophezeit Jesaja das Licht, das von Gott kommt:
Das Volk, das in der Finsternis lebt,
hat ein großes Licht gesehen.
Es scheint hell über denen,
die im düsteren Land wohnen.
Die Weihnachtsgeschichte hat eine Vorliebe für Kontraste. Vor dem Hintergrund der Friedenspropaganda des Augustus erzählt sie ihre Geschichte. Sie berichtet von dem Licht, das bis in die tiefste Dunkelheit reicht. Dieser Glanz soll allen Menschen leuchten.
»Ehre sei Gott in den Höhen!
Und Friede auf der Erde bei den Menschen,
ihnen wendet sich Gott in Liebe zu!«
Dieser Friede wird nicht mit Waffengewalt herbeigezwungen, sondern ist das Geschenk des kindlichen Friedefürsten. Die Zukunft dieses Friedens liegt nicht in Menschenhand. Er ist nicht Spielball der Mächtigen, sondern wird zum Garanten einer neuen, verheißungsvollen Zeit. Er gilt dem Volk Israel und allen, die diesem Gott glauben und für die das Kind der Friedensbringer und Retter der Welt ist.
Ihm wurde die Herrschaft übertragen.
Er trägt die Namen: wunderbarer Ratgeber,
starker Gott, ewiger Vater, Friedefürst.
Friede auf der Erde – das scheint so weit entfernt zu sein. Gewalt, Zerstörung und unsägliches Leid verdunkeln Tag für Tag die Hoffnung auf eine Welt, in der Menschen friedlich miteinander leben. Wie weit der Friede tatsächlich entfernt ist, wird nirgendwo deutlicher als in Bethlehem und Jerusalem. Die Palästinenserin Amal Rifa'i sagt im Gespräch mit der Israelin Odelia Ainbinder:
Israelische Regierungen haben immer großartig über Frieden geredet und vielleicht ein paar Verträge unterschrieben, aber in der Realität sah es ganz anders aus. Manchmal denke ich, wir werden nie in Ruhe und Frieden zusammenleben können: immer, wenn wieder etwas in Gaza oder Ramallah passiert. […] Immer, wenn es wieder besonders schlimm ist, bin ich überzeugt, dass es niemals einen echten Frieden geben wird. Aber wenn ich mit Leuten wie dir zusammensitze […], dann hoffe ich wieder, dass wir es vielleicht irgendwie schaffen können.
Amal und Odelia sind sich in vielen Gesprächen, in denen sie von ihren Gefühlen, ihren Enttäuschungen und Sorgen gesprochen haben, nähergekommen. Odelia sagt:
Ich verstehe deine Wut und finde sie auch völlig gerechtfertigt. Aber wir können die Realität nicht ignorieren. Wir Juden sind hier und haben einen eigenen Staat. […] Wir werden uns nicht in Luft auflösen und ihr auch nicht. Ich glaube jedoch nicht, dass wir unsere Geschichte vergessen sollten. Es ist wichtig, sich seiner Geschichte zu erinnern. Aber nicht, um die Gräben zwischen uns zu vertiefen, sondern um sie zu überwinden.
Der Friede, von dem die Engel der Weihnacht singen, ist ein Geschenk an die Erde und er soll auch hier auf Erden Wirklichkeit werden. Bethlehem kann da so etwas wie die Nagelprobe sein. Und vermutlich hat Victor Bartaseh, der ehemalige Bürgermeister von Bethlehem, Recht, wenn er schon vor 16 Jahren gesagt hat:
Es ist nicht schwer, sich Bethlehem als Mittelpunkt der Welt vorzustellen. Dies ist ein Ort, an dem es offenbar keine Ruhe geben kann. Wenn jemals Frieden einkehrt in der Welt, dann beginnt er hier und nirgendwo sonst.
Deshalb feiern wir die Botschaft der Engel, die uns Friede auf der Erde verspricht. Denn dieser Friede beginnt nicht im Zentrum der Macht, sondern an einem entlegenen Ort. Und er wächst mit den Menschen, die sich von dieser Botschaft und ihrer Sehnsucht allen Krisen zum Trotz bewegen lassen. Friede auf Erden wird allem Unfrieden zum Trotz gelebt, wo sich Menschen aufmerksam und zugewandt begegnen. Jede Form der Solidarität ist ein Zeichen der Hoffnung. Sie lässt erleben, wie Friede auf der Erde an den entlegensten Orten ein Gesicht bekommt. Dorothee Sölle hat das einmal so formuliert:
Ich werde manchmal gefragt,
warum ich denn ‚immer noch‘ für Gerechtigkeit,
Friede und die gute Schöpfung eintrete.
‚Immer noch?‘ frage ich zurück,
wir fangen doch gerade erst an,
aus der Verbundenheit mit dem Leben heraus,
zu kämpfen, zu lachen, zu weinen.
Meine Tradition hat uns wirklich mehr versprochen!
Ein Leben vor dem Tod, gerechtes Handeln
und die Verbundenheit mit allem, was lebt,
die Wölfe neben den Lämmern und Gott nicht oben
und nicht später, sondern jetzt und hier.
Bei uns, in uns.
Amen.