Verborgener Schatz und Perle: das bist du, das bin ich.
Matthäus 13,44-46 – 9. Sonntag nach Trinitatis

Jetzt, mitten im Sommer, sind viele unterwegs. Und dieses Unterwegssein hat wohl viel mit Suchen zu tun. Unabhängig davon, ob jemand weit wegfährt oder in der Nähe Urlaub macht. Im Urlaub suchen viele Menschen nach aufregenden Erlebnissen. Nach Ruhe und Entspannung, nach Abwechslung. Manchmal sogar danach, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben.

Auch ich möchte euch heute gerne auf eine Suche mitnehmen. Auf eine kleine gedankliche Entdeckungsreise. Als Routenbeschreibung dienen zwei kleine Gleichnisse, die der Evangelist Matthäus Jesus in den Mund legt:

»Das Reich Gottes gleicht einem Schatz,
der im Acker vergraben ist:
Ein Mensch entdeckte ihn und vergrub ihn wieder.
Voller Freude ging er los und verkaufte alles,
was er hatte. Dann kaufte er diesen Acker.
Ebenso gleicht das Reich Gottes
einer Person, die Handel treibt
und auf der Suche nach schönen Perlen ist:
Sie entdeckte eine besonders wertvolle Perle.
Da ging sie los und verkaufte alles, was sie hatte.
Dann kaufte sie diese Perle.«

In der ersten Bildgeschichte: ein Schatz, der einem Menschen einfach so zufällt. Er tut seine Arbeit, wie immer. Der Schatz, ein reiner Zu-Fall. Aber der Mensch weiß sofort: Dieser Schatz kann mein Leben ändern. Und diese Chance gibt’s nur einmal in meinem Leben. Jetzt gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Denn einfach mitnehmen kann er den Fund nicht. Der Acker gehört ihm ja nicht. Als einzige Möglichkeit bleibt ihm, den Acker zu kaufen. Diesen Acker, den wird er irgendwie finanzieren können, wenn er alles zusammenlegt. Aber den Schatz, den könnte er niemals bezahlen. Ganz hellwach und geistesgegenwärtig entscheidet er sich und ergreift sie, die Chance seines Lebens.

Meine erste Entdeckung: Mitten in meinem Alltag kann ein Schatz liegen. Mitten in meinem täglichen Tun, in den unzähligen Begegnungen. Ich brauche mich nicht wahnsinnig anzustrengen, nichts Außergewöhnliches tun. Nur richtig hinsehen und wahrnehmen, welche Kostbarkeit mir in meinem Alltag zufällt. Und dann die Chance ergreifen.

Bei der Person, die Handel treibt im zweiten Gleichnis ist es anders. Sie geht planmäßig vor. Sie hat sich auf die Perlensuche spezialisiert. Sie hat Erfahrung und Sachverstand und ein geschultes Auge, um Wertvolles von Wertlosem unterscheiden zu können. Und trotzdem ist es auch für sie überraschend und atemberaubend, als sie jetzt plötzlich vor ihr liegt, diese einzigartige Perle. Und auch sie verkauft alles, um sie zu erwerben.

So unterschiedlich sie sind, diese beiden Menschen, etwas verbindet sie: Sie sind derart überwältigt von ihrer Entdeckung, dass sie alles auf eine Karte setzen. Denn beide scheinen zutiefst überzeugt zu sein: Ich verliere nichts, ich kann nur gewinnen.

Meine zweite Entdeckung ist diese Haltung. Sie fasziniert mich, weil sie so radikal ist. Alles oder nichts. Diese Entschlossenheit, ihre Begeisterung finde ich ansteckend. Es ist eine Kraft spürbar, die das Leben verändert, in Schwung bringt. Etwas Neues beginnt. Aber ist das nicht verrückt und auch gefährlich? Diese Haltung hat für mich auch etwas Beunruhigendes. Soll ich wirklich alles auf eine Karte setzen, alle Sicherheiten, meine Vorsorge preisgeben? Und wie ist es eigentlich weitergegangen mit den beiden, als sie den Acker gekauft und die Perle erworben hatten? Hat sich ihr Einsatz wirklich und dauerhaft gelohnt? Davon erzählt das Gleichnis nichts mehr.

So führt mich die kleine gedankliche Reise zu einer dritten Entdeckung. Sie ist eher noch eine Ahnung: Offenbar wollen diese beiden kleinen Geschichten zu Vertrauen anstiften. Zu einer Haltung, die nicht zuerst nach Absicherung ruft, und das nicht nur im materiellen Sinn. Sie laden ein zu einer vertrauensvolleren Haltung den Schätzen meines Lebens gegenüber. Nun sind diese beiden kleinen Gleichnisse natürlich nicht irgendwelche netten Geschichten, die Jesus einfach so zur Unterhaltung erzählt. Er erzählt sie, um etwas darüber zu sagen, was für ihn das Wertvollste seines Lebens ist: das Reich Gottes. Die Welt, das Leben von Gott her gedacht und gestaltet. »Schaut her«, ruft uns Jesus zu, »das Reich Gottes ist so nah bei euch, dass ihr fast drüber stolpert.«

Oder zugespitzt formuliert: »Schaut auf mich«, ruft uns Jesus zu, »das Reich Gottes ist im mir verkörpert.« Das lerne ich bei den Theologen der frühen Kirche und den Mystikerinnen. Sie haben das Bild vom Schatz und von der Perle immer auch direkt auf Christus bezogen. In ihm leuchtet Gottes heilende und befreiende Gegenwart auf. Er ist die Verkörperung der Welt Gottes. Spirituell betrachtet ist Christus ein Bild für das wahre Selbst. Deshalb kann schon Klemens von Alexandrien an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert schreiben:

Der göttliche Logos ist Mensch geworden,
damit wir von einem Menschen lernen können,
wie ein Mensch vergöttlicht werden kann.

Klemens geht es darum, deutlich zu machen, dass jeder Mensch schon hier auf Erden ein göttliches Wesen ist und immer mehr wird. Denn Jesus ist der Modellfall für alles Lebendige. Alles, was die Bibel über Christus sagt, gilt als sicheres Versprechen für eine jede und einen jeden von uns. Wenn also das Reich Gottes in Christus verkörpert ist, dann ebenso in dir und in mir. Folgerichtig übersetzt Luther an anderer Stelle (Lukas 17,21) auf die Frage, wo das Reich Gottes sei:

Das Reich Gottes ist inwendig in euch.

Das bringt mich zu einer vierten Entdeckung: Mit dem Schatz und der Perle sind also wir gemeint. Du und ich, die wir in die Nachfolge gerufen sind. Gott sieht in einer jeden und einem jeden einen Schatz und eine Perle. Manchmal vielleicht ein wenig verborgen durch meine Schattenseiten, die Ecken und Kanten. Aber Gott hat Jesus in die Welt gegeben, um zu zeigen, dass er bereit ist, alles in die Waagschale zu werfen. Weil wir in seinen Augen unendlich kostbar und wertvoll sind. Wir sind der Schatz und die Perle. Oft ein wenig verborgen. Um von Gott tagtäglich aufs Neue entdeckt zu werden.

Was bleibt zu tun? Ich öffne mich für diese Wirklichkeit, die wir Gott nennen. Ich öffne mich für das, was Jesus mit ‚Reich Gottes in uns‘ beschrieben hat. Wer sich aus der Zentriertheit auf sein Selbst löst und aufbricht, erkennt sein göttliches Wesen. Wenn du heute in den Spiegel blickst, schau auch tiefer. Schau auf dein wahres Wesen. Und erkenne in dir den Schatz und die Perle, die Gott sieht und schätzt und liebhat. Und wenn du in die Gesichter der anderen schaust, kannst du auch dort den verborgenen Schatz und die Perle entdecken.

Manchmal sagen wir jemand anderem: »Du bist ein Schatz!« oder: »Sie ist eine Perle!« Vielleicht sagen wir im Lauf der Woche einmal jemand: »Du bist ein Schatz Gottes!« oder: »Du bist Gottes Perle! Schön, dass es dich gibt!« Das kann mitten im Sommer dem Leben eine neue Richtung geben. Amen.

 


Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.
Weitere Informationen Ok Ablehnen