Vom roten Faden Hoffnung
Josua 2,1-21
(17. Sonntag nach Trinitatis)

Es gibt den Ausweg nicht immer,
aber immerhin
öfter als du gedacht hast.
Natürlich nur dann,
wenn du am Ende bist,
findest du sie,
die schmale heimliche Stelle,
das Schlupfloch, die Hintertür.

Dichtet Hans Magnus Enzensberger. Und verdichtet damit die grundmenschliche Erfahrung von auswegloser Not und überraschender Rettung daraus.

Davon erzählt auch die Erzählung aus dem Josuabuch, die wir vorhin gehört haben. Was für eine Geschichte! Und was für eine Frau! Rahab ist eine couragierte, tatkräftige Frau. Wie so oft in biblischen Geschichten ist schon ihr Name selbstredend; er bedeutet ‚die Wilde‘. Sie handelt unfassbar schlau, vorausschauend und risikoreich. Sie gewährt zwei von Josua beauftragten Spionen Unterschlupf und versteckt sie unter Flachsstängeln auf ihrem Dach. Sie täuscht die Gesandten des Königs von Jericho und schickt die Männer in die Irre. Mit den Spionen Josuas handelt sie einen Deal aus, der sie selbst und ihre Familie beschützt und den Männern den Rücken deckt.

Als einige Tage später sprichwörtlich die Welt um sie einstürzt, überlebt sie. Das rote Seil, ins Fenster gehängt, das rettet ihr das Leben. Rot ist eine Signalfarbe. Sie fällt auf. Sie ist aggressiv. Wer rot sieht, kann wild werden, überschäumend vor Wut. Rot zieht Blicke auf sich: morgens oder abends am Horizont, beim Auto oder in der Kleiderwahl. Der Rotstift weist mich unmissverständlich auf Fehler hin. Und wer im Sport die rote Laterne trägt, ist weit hinter den anderen. Rot ist die Farbe des Blutes, durch das Verräter gerächt werden. Rot ist die Farbe der Liebe. Und Rot ist auch die Farbe der Heiligen Geistkraft, die weht, wo sie will. Auch am Stadtrand von Jericho. Dort wird etwas entdeckt, das sich seither wie ein roter Faden durch die Lebensgeschichte unzähliger Menschen zieht. Und an diesem Sonntagmorgen will es Einzug halten – hier, in der Christ-Königs-Kirche, und sich durch die Bänke winden, um jede und jeden von uns zu streifen. Um dich und mich zu ergreifen, so wie es einst Rahab ergriffen hat.

In ihrer Stadt, in Jericho, herrscht damals Alarmstufe rot. Das Volk Israel ist nach langer Wüstenwanderung am Grenzfluss Jordan aufgetaucht. Und da lauern sie nun auf eine Gelegenheit, Jericho zu erobern. Aber die Stadt macht dicht, schließt alle Tore. Josua, der Anführer und Nachfolger von Mose, schickt Spione in die Stadt. Und was tut man als Fremder in einem Ort, wo jedes unbekannte Gesicht sofort auffällt? Man geht dorthin, wo man am wenigsten beobachtet ist. An den Stadtrand, an den prekären Rand der Gesellschaft – buchstäblich in die Wohnungen im Hohlraum der Stadtmauer. Sie gehen zu Rahab, die sie versteckt. Und sie weiß, was zu tun ist: »Der Mut«, sagt sie, »der Mut hat die Leute in Jericho verlassen. Unser Herz ist verzagt und es wagt keiner mehr vor euch zu atmen. Denn euer Gott ist anders. Er ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden

Rahab zählt zwei und zwei zusammen. Und dann setzt sie alles auf eine Karte: »Ich schlage euch einen Handel vor. Ich helfe euch, und ihr helft mir.« Und sie schließen einen Vertrag, an dessen Ende ein Zeichen wie eine Unterschrift steht: eben jenes rote Seil. Das Leben hängt an einem roten Faden. Das Leben der beiden Kundschafter genauso wie das das Leben von Rahab und ihrer Familie.

Das ist ebenso handfest wie hintergründig gemeint. Die rote Schnur seilt die Spione ab und schützt Rahabs Leben wie eine Alarmanlage. Und zugleich entdeckt Rahab in dem dramatischen Geschehen einen roten Faden für ihr Leben. Mitten im Chaos etwas, das Sinn ergibt. Sie erkennt, dass sie bedeutsam ist: für die Männer, für ihre Familie und für Gott, der hier am Werke ist. Sie ist wichtig und es bewegt sich etwas in ihrem Leben. Gottes Geistkraft streift sie wie ein Hauch von Frischluft. Als Prostituierte ist sie in der Stadt für viele Leute ‚das Letzte‘. Aber wenn Gott bis Jericho kommt, werden die Karten neu gemischt.

Gottes Geistkraft weht durch Rahabs Haus und plötzlich erwacht die Hoffnung. Gott eröffnet eine Hintertür. Das scheinbar Unabänderliche bekommt ein neues Gesicht. »Mein Leben hängt an einem roten Faden«, begreift die wilde Rahab, aber da hängt es sicher!

Das Bildwort vom roten Faden geht übrigens auf die englischen Marine zurück. Dort war in jedes Tau ein roter Faden eingedreht. Der rote Faden sichert den soliden Zusammenhalt des aus dünnen Fäden verzwirbelten Seils. Schon zu Rahabs Zeiten verstand man sich auf das Seildrehen. Im Hebräischen ist das Wort für ‚gedrehtes Seil‘ gleichbedeutend mit der Vokabel für Hoffnung. Was auf den ersten Blick keinen sachlichen Zusammenhang zu haben scheint – Seil und Hoffnung – verzwirbelt die Rahab-Geschichte zu einer Heilsgeschichte.

Das Seil ist sinnbildlich und wörtlich ein Symbol der Hoffnung. Das Seil ist mehr als ein Strick, es ist Werkzeug der Hoffnung. Mehr noch: Es ist eine Verbindung zu Gott, der an der Rettung arbeitet. Und dieser rote Faden spinnt sich durch bis hinein in dein und mein Leben. Hinein in Situationen, in denen ich nach Auswegen suche. In denen ich vor unüberwindbaren Mauern stehe, scheinbar ohne Ausweg. Der rote Faden Gottes zieht sich durch das geöffnete Fenster der Rahab über Jesus aus Nazareth bis heute – hinein in dein und mein Herz.

Denn Rahab wird die Ururgroßmutter Jesu. Sie steht in der Segensliste des Matthäusevangeliums von Abraham bis Jesus. Ob Rahab das geahnt hat? Vielleicht hat sie sich gedacht: »Was soll denn aus mir werden? Wie wird das hier alles enden?« Und dann durchkreuzt Gott ihren Weg. So wie er es bis heute immer wieder tut. Dann können sich anfängliche Notlagen in Situationen des Glücks und der Rettung wandeln.

Wenn du am Ende bist,
findest du sie,
die schmale heimliche Stelle,
das Schlupfloch, die Hintertür.

Wie Rahab möchte ich mit Gott rechnen und ihm vertrauen. Diesem Gott, der in die Freiheit führt. Er durchweht mich von Anfang an. In ihm finde ich Halt. Dann will ich dem Leben trauen, offen auf andere zugehen. Und in mein Fenster zur Welt einen Hoffnungsschimmer hängen. Amen.

 


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