»Gib mir ein hörendes Herz.«
1.Könige 3,9a – Konstituierung des Gemeinderates der Marktgemeinde Perchtoldsdorf
Es ist, als breche alles,
was Menschen miteinander verbindet,
in der Krise zusammen,
so dass jeder von jedem verlassen
und auf nichts mehr Verlass ist.
Eine treffliche Beschreibung unserer gesellschaftlichen Situation. Auch wenn die Worte 70 Jahre alt sind. Sie stammen von der Philosophin Hannah Arendt aus ihrem Monumentalwerk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft.“ Aus dem Gefühl der Verlassenheit und Isolation erwachsen Kränkungsempfinden, Zorn, Hass und Hetze. Was hilft dagegen?
Aus der jüdisch-christlichen Tradition heißt die Antwort: Empathie. Empathie ist der Versuch, nicht abzustumpfen. In anderen nicht nur Gegner, Täter und Schuldige zu sehen. Ein eindrückliches Beispiel dafür gibt die Bibel im ersten Buch der Könige.
Dazu begeben wir uns in die Paläste, die damaligen Zentren von Herrschaft und Macht. Im Alten Israel wir durch die Einführung des Königtums die Macht zentralisiert. König David ist vom Tod gezeichnet. Er hat seine Nachfolge nicht geregelt und will nicht loslassen. Da wittert sein ältester noch lebender Sohn Adonija seine Chance, gegen den sterbenden Vater zu putschen.
Doch da entspinnt sich eine Intrige. Denn Davids Lieblingsfrau Bathseba will das nicht hinnehmen. Sie will, dass ihr einziger Sohn König wird: Salomo. Durch Lug und Trug angestiftet, regelt David in letzter Minute seine Nachfolge. Und noch auf dem Totenbett stiftet David Salomo zu blutigen Racheakten an. Der erfüllt den Auftrag seines Vaters und macht dessen Racheschwüre wahr. Bis hierher ist alles wie immer. Und wie heute.
Aber dann spürt der junge König, unerfahren und unsicher wie er ist, die eigene Unzulänglichkeit. Er weiß nicht aus noch ein. Die Sorgen des Regierens quälen ihn und verfolgen ihn nachts bis in den ruhelosen Schlaf.
Da träumt Salomo. Die quälenden Sorgen verschwinden nicht, aber sie werden verändert. Im Traum eröffnet sich etwas Anderes, etwas Neues. Der Himmel öffnet sich. Eine Stimme spricht, ja, sie verspricht:
»Was immer du bittest, will ich dir geben.«
Es ist die Stimme Gottes. Ihm gegenüber darf Salomo an der Schnittstelle seines Lebens einen, nein, den Herzenswunsch äußern.
»Gib mir ein hörendes Herz.«
bittet Salomo. Er wünscht sich nicht Macht oder eine starke Armee oder kluge Berater. Salomo wünscht sich auch nicht Ansehen oder Ehre, nicht Reichtum und kein langes Leben, sondern ein Herz, das hinhört. Das finde ich bemerkenswert. Vor allem nach der Vorgeschichte.
Ein hörendes Herz, das ist mehr als Toleranz. Tolerieren kann ich jemanden auch, wenn ich den anderen Glauben, die andere Hautfarbe oder die andere Art zu lieben vollkommen daneben finde. »Ich toleriere dich, mach du, was du willst.«
Es ist eben ein Unterschied, ob ich mit dem Herzen höre oder mit dem Kopf. Mit dem Kopf bin ich schnell dabei, zu interpretieren und zu werten. Ich sortiere, vergleiche, stecke in Schubladen. Das ist etwas ganz anderes als ein hörendes Herz zu haben. Dann bin ich bereit, das Gegenüber in einem existenziellen Sinn zu hören, wahrzunehmen. Ich will mich von anderen berühren und verwandeln zu lassen.
Das Herz ist im biblischen Sinne nicht nur der Ort der Gefühle und des Gewissens, sondern auch der Sitz des Verstandes und des Willens. Salomo bittet also darum, aufrichtig hinhorchen zu können, empathisch zu sein, gerechte Entscheidungen zu treffen. Salomo kennt seine Grenzen. Er weiß noch nicht, wie er sich in den großen Fußstapfen seines Vaters verhalten soll. Aber Salomo wendet sich an Gott. Und Gott antwortet:
Ich werde ich deine Bitte erfüllen:
Ich gebe ich dir ein weises und verständiges Herz.
Salomo erwacht aus seinem Traum. Und der Traum wird Wirklichkeit. Nachdem er seine Regierungszeit mit Rache, Mord und Blutvergießen begonnen hat, wird er zu einem klugen und mitfühlenden Herrscher.
»Gib mir ein hörendes Herz.«
Ein guter Wunsch. Eine Bitte, die auch am Beginn der neuen Legislaturperiode des Perchtoldsdorfer Gemeinderates stehen kann. Vieles in der Politik ist Kampf und Verfolgung von Interessen. Und am Ende geht es darum, Mehrheiten für die eigene Position zu finden und sich durchzusetzen. Das muss aber nicht sein. Ein hörendes Herz zielt auf einen gemeinsamen Beschluss. Ein hörendes Herz ist auf Empathie gerichtet. Empathie ist kein politischer Impuls. Es ist eine menschliche Regung. Ein Mitgefühl. Davon geleitet sind Gemeinderätinnen und Gemeinderäte offen und mit dem Herzen dabei. Und kommen miteinander in Kontakt in herzlicher, wohlwollender Atmosphäre. So wird Verbundenheit gestärkt. Amen.